Expertengespräch, 11.12.2020, Webinar

Wie angemessen ist die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank? Sollte sich die EZB an der neuen geldpolitischen Strategie der Federal Reserve orientieren?

Die Europäische Zentralbank (EZB) befindet sich nicht erst seit der Corona-Pandemie im geldpolitischen Krisenmodus. Seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise vor mehr als einem Jahrzehnt und der nachfolgenden Staatsschuldenkrise betreibt die EZB eine ultra-expansive Geldpolitik historischen Ausmaßes. Trotz eines mehrere Jahre folgenden wirtschaftlichen Aufschwungs und steigender Inflationsraten war die EZB – im Gegensatz etwa zur amerikanischen Notenbank – nicht dazu bereit, aus ihrer Krisenpolitik auszusteigen und die Geldpolitik zu straffen. Seit vielen Jahren sind Null- und Negativzinsen sowie massive Anleihekäufe die neue Normalität im Euro-Raum und Grundlage kontroverser Diskussionen sowie gerichtlicher Auseinandersetzungen über die Verhältnismäßigkeit der EZB-Politik. Mit ihren weitreichenden und bereits mehrfach ausgeweiteten Corona-Maßnahmen könnte die EZB ihre langanhaltende Krisenpolitik über weitere Jahre hinaus zementieren. Die übermäßige Staatsverschuldung einiger Mitgliedstaaten dürfte auch nach der Corona-Krise eine Normalisierung und Straffung der EZB-Politik in weite Ferne rücken.

Vor diesem Hintergrund hat die Stiftung Marktwirtschaft mit dem renommierten Geldpolitik-Experten Prof. Volker Wieland, Ph.D., Mitglied des Kronberger Kreises sowie des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, zum Jahresausklang am 11. Dezember 2020 ein Webinar durchgeführt, um über die aktuelle EZB-Politik und ihre zukünftig zu erwartende strategische Ausrichtung zu sprechen. Im Fokus standen hierbei insbesondere die Angemessenheit der expansiven Geldpolitik der EZB sowie die Konsequenzen, die aus der bis 2021 laufenden Strategieüberprüfung der EZB zu erwarten sind.

In seiner Präsentation hob Wieland, seit 2012 Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS) in Frankfurt, hervor, dass er die schnelle Reaktion der EZB im März 2020 auf die Corona-Pandemie für richtig halte. Mit den geldpolitischen Stützungsmaßnahmen konnten die Finanzmärkte liquide gehalten und eine erneute Finanzkrise verhindert werden. Zudem habe es zum damaligen Zeitpunkt noch keine Einigung der EU-Mitgliedstaaten auf neue institutionelle Hilfen gegeben, sodass die Geldpolitik zu Beginn der Krise einen Teil der noch fehlenden fiskalischen Maßnahmen ausgleichen konnte. Zugleich machte Wieland deutlich, dass er die im Sommer und im Dezember 2020 erfolgten Ausweitungen der EZB-Maßnahmen kritisch betrachte, da dadurch für die betroffenen Staaten vorerst kein Anreiz bestünde, notwendige Reformen im Austausch gegen vergünstigte Kredite, etwa über ein ESM-Programm, einzuleiten. Insbesondere die massiven Staatsanleihekäufe, die zu einer erheblichen Ausweitung der Zentralbankbilanz führten, hätten die Unterschiede in den Risikoprämien staatlicher Schuldtitel in Richtung Null gedrückt. Eine marktwirtschaftliche Disziplinierung des öffentlichen Ausgabeverhaltens sei kaum noch gegeben. Das Volumen der neuen Anleihekäufe durch die EZB würde dem Anstieg der Schuldenquote im Euro-Raum nahezu vollständig entsprechen. Die in Form von Krediten an öffentliche Haushalte erfolgte Ausweitung der Geldbasis bezeichneten einige Beobachter dementsprechend auch als „Fiscal QE“ (fiskalisch motivierte quantitative Lockerung). Mit Blick auf das geltende Verbot der monetären Staatsfinanzierung müsse dies immer wieder kritisch hinterfragt werden, insbesondere auch im Hinblick auf eine Abweichung der Anleihekäufe vom EZB-Kapitalschlüssel.

Bezogen auf die Strategieüberprüfung der EZB würde es Wieland begrüßen, wenn die EZB zur Beurteilung der Entwicklung der Preisniveaustabilität weitere Inflationsmaße berücksichtigen würde. Ein zu enger Blick auf den Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) unterschätze die inländisch getriebene Inflation. Es stimme nicht, dass die Inflation, wie von EZB-Präsidentin Lagarde geäußert, seit 2009 zu niedrig sei. Erst seit 2013 werde der selbst gesteckte Zielwert von knapp unter zwei Prozent nicht mehr erreicht. Dies sei aber vollständig auf einen Rückgang der Importpreisinflation (vor allem der Energiepreise) zurückzuführen. Die inländisch getriebene Inflation (BIP Deflator) sei seit 2009 nahezu konstant und seit 2013 sogar leicht gestiegen. Der HVPI sei wesentlich schwankungsanfälliger. Bei der Strategieüberprüfung vermisse er zudem eine Analyse und Berücksichtigung der Fehler, die vor der Finanzkrise gemacht wurden. Es habe damals ein sehr hohes Kredit- und Geldmengenwachstum gegeben, welches ein Wegbereiter für die Finanzkrise gewesen sei. Auch im Zuge der Corona-Krise sei eine enorme Ausweitung der Geldmenge zu beobachten. Diese Entwicklung müsse daher kritisch beleuchtet und im Hinblick auf die künftige Strategie der EZB berücksichtigt werden. Eine Ausweitung der EZB-Politik auf klimapolitische Ziele würde Wieland nicht befürworten. Die Finanzaufsicht müsse selbstverständlich Risiken des Klimawandels beachten. Eine „grüne“ Geldpolitik würde seiner Meinung nach jedoch nur falsche Hoffnungen schüren, die die EZB nicht erfüllen könne.

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