Die globale Ausbreitung des Corona-Virus und die gesundheitspolitischen Eindämmungsmaßnahmen haben die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession gestürzt. Um die wirtschaftlichen Belastungen der Krise für die Bürger und Unternehmen abzumildern, haben viele Länder, allen voran Deutschland, und die Europäische Union (EU) erhebliche fiskalische Unterstützungsmaßnahmen auf den Weg gebracht. Wie sind diese wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung und der EU in der ersten Jahreshälfte 2020 zu bewerten? Wie hoch wird der Wirtschaftseinbruch am Ende des Jahres voraussichtlich ausfallen? Welche Weichenstellungen sollten vorgenommen werden, damit Deutschland und Europa aus der Krise wirtschaftlich gestärkt hervorgehen können?
Diese Fragen diskutierte die Stiftung Marktwirtschaft am 10. Juni 2020 im Webinar „Vom Notfallprogramm über das Konjunkturprogramm zum notwendigen Strukturwandel: Was sollten wir tun, um die Corona-Krise wirtschaftlich zu überwinden?“ mit dem Sprecher des Kronberger Kreises und Vorsitzenden des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld.
Feld führte aus, dass die deutsche Wirtschaft sich vermutlich ähnlich wie das als „ausgeprägtes V“ beschriebene Risikoszenario entwickeln werde, das der Sachverständigenrat in seinem Sondergutachten zur Corona-Pandemie Ende März 2020 veröffentlicht habe. Einem starken Wirtschaftseinbruch von mindestens zehn Prozent im zweiten Quartal dürfte eine allmähliche Erholung im dritten und vierten Quartal folgen – sofern keine „zweite Corona-Welle“ die Wirtschaft erfasse. Daher erwarte er für 2020 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von fünf bis sechs Prozent. Das Vorkrisenniveau könne wohl frühestens Anfang 2022 erreicht werden.
Corona sei in erster Linie ein schwerer Produktivitätsschock, der längerfristige Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Angebots- und Nachfrageseite habe, erläuterte Feld. Bei den wirtschaftspolitischen Unterstützungsmaßnamen sei es vom Grundsatz her darum gegangen, den Unternehmen ausreichend Liquidität bereitzustellen, um Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können. Diese ersten Hilfen sowie der erleichterte Zugang zu Kurzarbeit seien grundsätzlich richtig gewesen. Es sei auch richtig gewesen, sich auf branchenunabhängige Maßnahmen zu konzentrieren und etwa von einer Autoprämie abzusehen. Von einer Übernahme der Altschulden von Kommunen sei glücklicherweise Abstand genommen worden, da ein solches Vorgehen völlig falsche Anreize für die verantwortlichen Kommunen und Länder gesetzt hätte. Beim steuerlichen Verlustrücktrag sowie bei der Senkung von Energiekosten hätte die Bundesregierung jedoch generöser sein sollen, um auch großen Unternehmen in der akuten Situation zu helfen. Eine stärkere Ausweitung des Verlustrücktrags könne zielgenau und für den Staatshaushalt relativ kostengünstig diejenigen Unternehmen entlasten, die vor der Krise ein tragfähiges Geschäftsmodell hatten.
Eine vorzeitige Ausweitung und Verlängerung des Kurzarbeitergeldes sei hingegen nicht gerechtfertigt. Es brauche einen Strukturwandel in der Wirtschaft, durch den bereits vor der Krise nicht mehr rentable Unternehmen vom Markt verschwinden anstatt künstlich länger im Markt gehalten zu werden. Unternehmen müssten zudem frei umstrukturieren können. Beides sei wichtig, um Produktivitätsfortschritte zu erzielen. Diese seien entscheidend, um gestärkt aus der Krise kommen zu können und bevorstehende Herausforderungen wie steigende demographische Belastungen oder die Konsolidierung der Staatshaushalte besser zu bewältigen. Daneben könne die zunehmende Digitalisierung zu mehr Produktivitätsfortschritten führen, vor allem im Management und in Unternehmensverwaltungen, aber auch im Gesundheitswesen, im Bildungssektor sowie in der öffentlichen Verwaltung, wo es großen Nachholbedarf gebe.
Eine Erhöhung der Unternehmens- oder Einkommensteuer, wie von einigen propagiert, wäre absolutes Gift für die notwendigen Produktivitätssteigerungen. Die Konsolidierung der Haushalte müsse in den kommenden Jahren über eine stärkere Ausgabendisziplin erreicht werden. Die öffentliche Schuldenquote könne nicht nur durch mehr Wirtschaftswachstum zurückgeführt werden. Die Schuldenrückführung im vergangenen Jahrzehnt habe Deutschland auch nicht allein durch mehr Wachstum geschafft, sondern vor allem über hohe Zinseinsparungen. Diese seien für die Zukunft aber nicht in gleichem Maße zu erwarten, daher sei Deutschland zu mehr Ausgabendisziplin angehalten.
Bezüglich der europaweiten Hilfen zeigte sich Feld erleichtert, dass keine Corona-Bonds geschaffen wurden. Zwar bereite ihm die neue Verschuldungskompetenz der EU Kopfzerbrechen, jedoch sei diese zeitlich und in der Höhe befristet und über den EU-Haushalt abgesichert. Entscheidend sei jedoch, dass die Mittel nicht bloß in den Haushalt der Staaten fließen, sondern mit strukturellen Reformen verknüpft würden. Ohne Reformen könne der notwendige Strukturwandel in Europa nicht gelingen.