Guido Raddatz
Berlin, 2024 | Umfang: 28 Seiten |
Dateigröße: 2 MB |
Nach Jahrzehnten mit massiven Beschäftigungsproblemen und steigenden Arbeitslosenzahlen markierten die Jahre 2005/06 einen Wendepunkt für den deutschen Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit hat sich seitdem halbiert und die Zahl der Erwerbstätigen ist um 16,8 Prozent (6,6 Millionen) gestiegen. Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen hat sich allerdings nur um 9,8 Prozent erhöht, u. a. da ein beträchtlicher Teil des Beschäftigungsanstiegs im Rahmen von Teilzeitstellen erfolgte.
Parallel dazu zeigen zahlreiche Indikatoren seit einigen Jahren einen zunehmenden Fach- und Arbeitskräftemange. Die Tatsache, dass es für Unternehmen zunehmend schwieriger wird, ausreichend Personal zu finden, bremst nicht nur das Beschäftigungswachstum, sondern behindert auch immer mehr Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit (vgl. Abbildung). Schätzungen auf Basis der Fachkräftelücke beziffern die volkswirtschaftlichen Kosten des Fachkräftemangels im Jahr 2024 auf rund 50 Milliarden Euro. Sollte die Entwicklung der letzten Jahre sich fortsetzen, könnte der Fachkräftemangel zu einem Standortnachteil und Investitionsrisiko werden, wobei die voranschreitenden Bevölkerungsalterung die Situation noch weiter verschärfen dürfte. Aktuelle Projektionsrechnungen zeigen, dass auch bei einer dauerhaft positiven Nettozuwanderung in einer realistischen Größenordnung die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter in den nächsten Jahrzehnten um mehrere Millionen zurückgehen wird.
Gleichzeitig weisen die hohen Zahlen von fast einer Million Langzeitarbeitslosen bei einer Gesamtzahl von derzeit 2,8 Millionen registrierten Arbeitslosen sowie rund 4 Millionen erwerbsfähige Bürgergeldempfänger deutlich auf erhebliche strukturelle Probleme auf dem Arbeitsmarkt hin. Zwei Ursachen dürften für das vordergründig widersprüchliche Nebeneinander von Fach- und Arbeitskräftemangel einerseits und (verfestigter) Arbeitslosigkeit andererseits wesentlich sein: Zum einen deutet vieles auf erhebliche Matchingprobleme hin - in regionaler, vor allem aber auch in qualifikatorischer Hinsicht. Zum anderen gehen vom Steuer- und Transfersystem, insbesondere im Bereich der bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherungsleistungen, erhebliche Fehlanreize aus. Grenzbelastungen, die vor allem aufgrund von hohen Transferentzugsraten bis in mittlere Einkommensbereiche zwischen 70 und 100 Prozent liegen können, verringern die monetären Arbeitsanreize für Transferempfänger. Die Aufnahme oder Ausweitung einer Beschäftigung lohnt sich häufig kaum.
Im Sinne einer breit angelegten arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Strategie gegen den Fach- und Arbeitskräftemangel sollten die folgenden Ziele und Maßnahmen verfolgt werden:
• Verringerung der Mismatch-Arbeitslosigkeit durch u.a. bessere Bildung und passgenauere Qualifikationen, aber auch durch eine Erhöhung der regionalen Mobilität.
• Verbesserung der Arbeitsanreize durch eine Stärkung der Eigenverantwortung und des Prinzips "Fördern und Fordern" für erwerbsfähige Bezieher bedürftigkeitsgeprüfter Grundsicherungsleistungen wie Bürgergeld oder Wohngeld. Darüber hinaus sollten die unterschiedlichen sozialen Grundsicherungsleistungen besser aufeinander abgestimmt und - soweit möglich - vereinfacht und zusammengefasst werden.
• Erhöhung der Erwerbsbeteiligung, insbesondere von Älteren und Frauen. Neben einer (weiteren) Erhöhung der Erwerbsquoten sollte auf eine Ausweitung ihres Beschäftigungsumfangs gezielt werden, z. B. durch eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters über 67 hinaus sowie bessere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder.
• Ausweitung der qualifizierten und auf den deutschen Arbeitsmarkt abgestimmten Zuwanderung durch eine stärkere Steuerung der Migration nach arbeitsmarktpolitischen Erfordernissen. Zum anderen muss eine schnellere und bessere Integration derjenigen angestrebt werden, die aus humanitären Gründen ein Bleiberecht in Deutschland erhalten.