Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sollten ihren Fokus stärker auf die Konsolidierung der Staatsfinanzen legen. Zu diesem Ergebnis kommt die Stiftung Marktwirtschaft anlässlich der Vorstellung des aktualisierten europäischen Nachhaltigkeitsrankings durch Vorstandsmitglied Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen. Zwar wirkt sich die gute konjunkturelle Lage derzeit positiv auf die Entwicklung der öffentlichen Haushalte aus. Gleichwohl dürfen die kurzfristigen Verbesserungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Mehrheit der Länder noch immer beträchtlichen impliziten Schulden gegenübersieht, die vor allem aus der voranschreitenden Bevölkerungsalterung resultieren und junge und zukünftige Generationen belasten werden. Außerdem gibt es Hinweise für ein „politisches Reporting“ durch einzelne Mitgliedstaaten.
Das EU-Nachhaltigkeitsranking 2018 der Stiftung Marktwirtschaft und des Forschungszentrums Generationenverträge basiert auf einer ehrlichen Berechnung der gesamten staatlichen Schuldenlast. Neben den explizit ausgewiesenen Staatsschulden berücksichtigt es auch absehbare zukünftige Defizite der öffentlichen Haushalte (implizite Schulden), die vor allem aus einem zukünftig zu erwartenden Anstieg der altersabhängigen Ausgaben resultieren und denen keine Reserven gegenüberstehen (z.B. bei den Beamtenpensionen). Datengrundlage der Berechnungen ist die aktuelle wirtschaftliche und fiskalische Lage gemäß der Herbstprognose der Europäischen Kommission sowie der Alterungsbericht 2018 der Europäischen Kommission.
Zwar setzten die meisten europäischen Staaten im vergangenen Jahr die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte fort, so dass Ende 2017 mit Ausnahme Spaniens alle Mitgliedstaaten unterhalb der 3%-Defizitgrenze des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts blieben. Die Ergebnisse des aktuellen europäischen Nachhaltigkeitsrankings zeigen allerdings, dass der Konsolidierungsprozess weiter vorangetrieben werden muss, da die öffentlichen Finanzen vielfach nicht nachhaltig sind. Im Durchschnitt aller 28 EU-Mitgliedstaaten liegt die durch die Nachhaltigkeitslücke gemessene Gesamtverschuldung bei 142% des BIP und damit mehr als doppelt so hoch wie die 60%‑Schuldenstandsgrenze des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts. In 19 Mitgliedstaaten übersteigt die Gesamtverschuldung die jährliche Wirtschaftsleistung.
Deutschland belegt mit einer Nachhaltigkeitslücke von 170% des BIP einen Platz im Mittelfeld. „Die gute Wirtschaftslage und die daraus resultierenden staatlichen Haushaltsüberschüsse sind kein Garant für dauerhaft stabile Staatsfinanzen“, betont Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Vorstandsmitglied der Stiftung Marktwirtschaft und Koautor der Untersuchung bei der Präsentation der Ergebnisse. „Das gilt insbesondere dann, wenn kurzfristige Haushaltsüberschüsse die Politik dazu verleiten, langfristig wirkende Ausgabensteigerungen – z.B. in Form von teuren Rentengeschenken – zu beschließen, ohne gleichzeitig eine ausreichende Gegenfinanzierung sicherzustellen.“ Umgerechnet beläuft sich der deutsche Gesamtschuldenstand auf fast 5,6 Billionen Euro.
Das gute Abschneiden der Länder in der Spitzengruppe resultiert zu einem großen Teil aus der projizierten Entwicklung der jeweiligen Rentenausgaben in der Zukunft. Bis auf Zypern rechnen alle Länder der Spitzengruppe damit, dass die Rentenausgaben bis zum Jahr 2070 deutlich langsamer ansteigen werden als das jeweilige Bruttoinlandsprodukt. Im Fall von Griechenland beispielsweise soll der Anteil der Rentenausgaben am BIP von 17,3% im Jahr 2016 auf nur noch 10,6% im Jahr 2070 fallen. „Dass eine solche Entwicklung realistisch ist, muss bezweifelt werden“, warnt Raffelhüschen. Er wolle nicht ausschließen, dass die Angaben im aktuellen Alterungsbericht der EU-Kommission durch „politisches Reporting“ der Mitgliedstaaten im Sinne übermäßig optimistischer Einschätzungen der zukünftigen Entwicklungen geschönt sind.
Positionspapiere Nr. 14
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