28. November 2013

EU-Nachhaltigkeitsranking 2013

Zeit gekauft – Zeit verschwendet: Staatsschulden wachsen in den meisten EU-Ländern weiter an, eine durchgreifende Trendwende ist nicht in Sicht. Deutschland gibt ein schlechtes Beispiel, schon ohne die großen Ausgaben der Großen Koalition. Das baldige Eurozonen-Mitglied Lettland überzeugt als neuer Spitzenreiter. Italien fällt zurück, Frankreich weiter ab

Das aktualisierte europäische Nachhaltigkeitsranking der Stiftung Marktwirtschaft für 2013 zeigt ernüchternde Ergebnisse im Hinblick auf die Entwicklung der Staatsverschuldung in Europa. Erste Erkenntnis: Zeit gekauft – Zeit verschwendet. Die riskanten und teils stark umstrittenen Rettungsmaßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) für Euro und Eurozone haben in den größten EU-Staaten nicht zu einer Trendwende bei der Staatsverschuldung geführt: In Deutschland, Frankreich und im Vereinigten Königreich sind die Schulden – ehrlich gerechnet – weiter angestiegen und eine Besserung kaum in Sicht. Das „Trio Infernale“ geht mit schlechtem Beispiel voran: Im Nicht-Eurozonen-Mitglied Vereinigtes Königreich und in Frankreich passiert nichts bis wenig, in Deutschland das Falsche: „Angesichts eines strukturellen Konsolidierungsbedarfs in Höhe von aktuell 37 Milliarden Euro (1,4 Prozent des BIP) bis 2020, um die 60%-Schuldengrenze bis zum Jahr 2030 wieder zu erreichen, sind trotz relativ günstigerer Position auch hierzulande keine fiskalischen Handlungsspielräume vorhanden“, mahnt Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Vorstandsmitglied der Stiftung Marktwirtschaft, mit Blick auf die entstehende Große Koalition. Der ausgehandelte Koalitionsvertrag mit allen vorgesehenen und vornehmlich konsumtiven Ausgaben sei ein Anachronismus: „Deutschland predigt in Europa das Sparen, verteilt selbst aber Wohltaten, als gäbe es kein Morgen.“Zweite Erkenntnis: Nur unter massivem Druck gelingen Verbesserungen. Viel zu wenige Staaten konnten die Summe der offenen und versteckten Schulden verringern, so Spanien und Griechenland. Mehr Staaten dagegen, insbesondere aus dem vorderen Drittel des Rankings, haben nachgelassen und weisen 2013 eine noch größere Nachhaltigkeitslücke auf als vor einem Jahr – darunter Deutschland. Als neuer Spitzenreiter und darum besonders willkommenes Neumitglied der Eurozone ab 1. Januar 2014 ist Lettland zu nennen. Das 2011 und 2012 führende Italien fällt auf den zweiten Platz zurück und ebenso wie Deutschland, Frankreich und Vereinigtes Königreich durch Reformstillstand auf, dazu kommt der Abbau von impliziten Reserven. Griechenland macht zwar beträchtliche Fortschritte, seine Lage bleibt aber weiterhin schwierig. Die Schlusslichter des Nachhaltigkeitsrankings bleiben Irland und Luxemburg. Deutschland kommt in diesem Vergleich auf Platz 4. Er basiert auf einer ehrlichen Berechnung der Schuldenlast, da auch absehbare zukünftige Defizite der öffentlichen Haushalte (implizite Schulden) bzw. nach geltender Gesetzeslage zwingende Ausgaben mitberücksichtigt werden, denen keine Reserven gegenüberstehen (z.B. Beamtenpensionen). Die deutsche Gesamtschuldenlast (Nachhaltigkeitslücke) – bestehend aus den bekannten expliziten und den gern versteckten impliziten Schulden – hat im Vergleich zum Vorjahr (Basisjahr 2011) jedoch zugenommen und liegt mit etwa 4,1 Billionen Euro tatsächlichen Schulden (Basisjahr 2012) weiterhin deutlich oberhalb der offiziell ausgewiesenen Staatsverschuldung in Höhe von knapp 2,2 Billionen Euro. In der Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten sieht es noch deutlich dramatischer aus: Das EU-Nachhaltigkeitsranking 2013 zeigt, dass in großen Teilen der EU die tatsächlichen Schuldenlasten die jeweilige nationale Wirtschaftsleistung weiterhin um ein Vielfaches übertreffen. Dies ist einerseits der demografischen Entwicklung geschuldet, welche in allen EU-Mitgliedstaaten in den kommenden Jahrzehnten zu stark steigenden Ausgaben für Rente, Gesundheit und Pflege führen wird. Andererseits zeigt ein Blick auf die gegenwärtige fiskalische Situation, dass sich die öffentlichen Haushalte in vielen EU-Staaten – trotz Konsolidierungsbemühungen – nach wie vor in einer kritischen Schieflage befinden. Nach aktuellem Stand weist die Mehrzahl der EU-Staaten ein Primärdefizit (Haushaltsdefizit ohne Zinsausgaben) auf. Ein weiterer Schuldenanstieg ist daher – selbst bei Vernachlässigung der demografischen Lasten – ohne weitere Konsolidierungsanstrengungen unvermeidlich. Die jüngsten positiven Wachstumsprognosen für die europäische Wirtschaft sind ein Hoffnungsschimmer am Horizont. Mehr als eine kurzfristige Stabilisierung der Lage der öffentlichen Finanzen ist hiervon allerdings nicht zu erwarten. Simulationsrechnungen zeigen, dass für einen Abbau der Staatsschulden mittelfristig weitere Einsparungen notwendig sind. Um die Staatsschulden bis zum Jahr 2030 auf die im Stabilitäts- und Wachstumspakt definierte Obergrenze von 60 Prozent des BIP zurückzuführen, müssten die öffentlichen Ausgaben in der EU bis zum Jahr 2020 im Durchschnitt um weitere 5 Prozentpunkte des BIP reduziert werden. Besonders hohe Einsparungen sind hierzu in Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Zypern notwendig. Aber auch in Belgien, Frankreich, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich liegt der Konsolidierungsbedarf oberhalb des EU-Durchschnitts.

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