29. August 2023

Ehrbarer Staat? Update 2023 der Generationenbilanz – Reformansätze für mehr Generationengerechtigkeit in der Kranken- und Pflegeversicherung

Die durch die Nachhaltigkeitslücke gemessene Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte beläuft sich im aktuellen Update der Generationenbilanzierung der Stiftung Marktwirtschaft auf 447,8 Prozent des BIP, was in erster Linie an den absehbar niedrigeren Steuereinnahmen in den nächsten Jahren liegt. Der diesjährige Beitragssatzanstieg in der Pflegeversicherung ist nur ein Vorgeschmack auf das, an was sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewöhnen müssen, wenn keine Reformanstrengungen unternommen werden. Um dem entgegenzuwirken – wie auch der intergenerativen Umverteilung von Jung zu Alt – legt die Stiftung Marktwirtschaft konkrete Reformmaßnahmen für die Gesetzliche Krankenversicherung und Soziale Pflegeversicherung vor.

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Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Deutschland hat sich im letzten Jahr deutlich verschlechtert. Aktuell liegt die Nachhaltigkeitslücke aus expliziten und impliziten Staatsschulden bei 447,8 Prozent des BIP bzw. 17,3 Billionen Euro (vgl. Abb. 1). Das sind 52,4 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr, was vor allem auf die zukünftig langsamer steigenden Steuereinnahmen zurückzuführen ist. Zu diesem Ergebnis kommen die jüngsten Berechnungen der Stiftung Marktwirtschaft und des Forschungszentrums Generationenverträge der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zur deutschen Generationenbilanz. Die impliziten Schulden spiegeln im We­sentlichen die bereits erworbenen und bei Fortführung des Status quo noch entstehenden, aber durch das aktuelle Steu­er- und Abgabenniveau nicht gedeckten Ansprüche heutiger und zukünftiger Generationen gegenüber dem Staat wider und belaufen sich auf 381,5 Prozent des BIP. Die heute bereits direkt sichtbaren expliziten Schulden machen demgegenüber 66,3 Prozent des BIP aus und bilden damit nur knapp ein Sechstel der staatlichen Gesamtverschuldung ab. Das ist ein neuer Tiefstand bei der Schuldentransparenz.

Der Fokus des diesjährigen Updates der Generationenbilanzierung liegt auf den Sozialversicherungen: „Fakt ist, dass immer mehr alte, kranke und pflegebedürftige Menschen von immer weniger Beitragszahlern immer länger finanziert werden müssen. Das resultierende Schuldenproblem der Sozialversicherungen ist in der Politik noch nicht ausreichend angekommen“, warnt Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Vorstandsmitglied der Stiftung Marktwirtschaft, und ergänzt: „Die kommenden fiskalischen Lasten werden zukünftige Haushaltsspielräume noch weiter verengen – und das über Jahrzehnte hinweg, wenn nicht schnell gegengesteuert wird.“

Kritisch sieht der Ökonom insbesondere die Entwicklungen in der Gesundheits- und Pflegepolitik. Hier sind bereits dieses Jahr die Beitragssätze in der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) angehoben worden und nächstes Jahr folgt aller Voraussicht nach die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Raffelhüschen warnt: „Unsere Berechnungen zeigen, dass wir die Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung nicht aufrechterhalten können, ohne die Beitragszahler zu überfordern“. Um dies zu vermeiden, hat das Forscherteam aus Freiburg ein Reformprogramm entwickelt:

  • Stärkung der Eigenverantwortung in der GKV durch drei Komponenten: (1) Ausgliederung aller zahnärztlichen und zahntechnischen Leistungen, (2) ein absoluter Selbstbehalt für ambulante Leistungen und Arzneimittel in Höhe von 1.800 Euro pro Jahr sowie (3) die Reduzierung des Kostendrucks im stationären Sektor durch wettbewerbliche und ordnungspolitische Regeln. Allein die ersten beiden Reformvorschläge haben das Potential, die Nachhaltigkeitslücke mit Kostendruck von 195 auf 7,5 Prozent des BIP zu verringern und sogar eine permanente Beitragssatzreduktion gegenüber dem Status quo zu ermöglichen (vgl. Abb. 2).
  • Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors in die SPV, der die Dynamisierung der Leistungen unter Berücksichtigung des Verhältnisses von Pflegebedürftigen zu Beitragszahlern steuert. Erhöht sich dieses Verhältnis im Zuge des demografischen Wandels, würden die Leistungen der Pflege langsamer als die allgemeine Produktivität wachsen. Damit ließe sich die Nachhaltigkeitslücke von 90,1 Prozent auf 55,7 Prozent des BIP verringern und der Beitragssatzanstieg würde zumindest verlangsamt werden.

Auf diese Weise könnte der in der Gesetzlichen Kranken- und Sozialen Pflegeversicherung erforderliche Paradigmenwechsel eingeläutet werden und diese als solidarische Sozialversicherungssysteme auch intergenerativ gerechter ausgestaltet werden: durch mehr Eigenverantwortung, Transparenz sowie regelbasierte Berücksichtigung der demografischen Entwicklung. „Durch die Einführung dieses Reformprogramms gelänge es, aus diesen beiden Sozialversicherungen wieder nachhaltig finanzierbare Generationenverträge und systemwidrige Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt entbehrlich zu machen“ resümiert der Finanzwissenschaftler.

Die ausführliche Studie finden Sie hier.

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