8. July 2019

Generationenbilanz Update 2019 – Fokus Pflegeversicherung

Die guten Jahre mit hohen Staatseinnahmen sind fast vorbei, ohne dass sie in ausreichendem Maße für nachhaltigkeitsorientierte Reformen genutzt wurden. Die neuen Ergebnisse der deutschen Generationenbilanz zeigen, dass die fiskalische Nachhaltigkeitslücke im Jahresvergleich um 80,3 Prozentpunkte auf 225,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestiegen ist. Die Brisanz dieser langfristigen finanziellen Herausforderungen wird von der Politik allerdings nicht ausreichend ernst genommen, wie sich exemplarisch bei der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) zeigt. Hier droht selbst unter optimistischen Annahmen bei Fortführung des Status quo ein Anstieg des Beitragssatzes auf über 5 Prozent bis zum Jahr 2060. Setzt die Politik hingegen ihre tendenziell kostentreibende Pflegepolitik fort, ist mit einem Beitragssatzanstieg auf über 8 Prozent zu rechnen.


Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Deutschland hat sich im letzten Jahr deutlich verschlechtert. Aktuell liegt die Nachhaltigkeitslücke aus expliziten und impliziten Staatsschulden bei 226 Prozent des BIP. Damit übersteigt sie den Vorjahreswert von 146 Prozent des BIP um 80 Prozentpunkte.* Zu diesen Ergebnissen kommen die jüngsten Berechnungen der Stiftung Marktwirtschaft und des Forschungszentrums Generationenverträge der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zur deutschen Generationenbilanz. In absoluten Zahlen entspricht die Nachhaltigkeitslücke einem Gesamtschuldenstand der öffentlichen Hand von 7,6 Billionen Euro. Der größere Teil – mehr als zwei Drittel – entfällt dabei auf die implizite, d.h. heute noch nicht direkt sichtbare, Staatsschuld. Sie beträgt 164,8 Prozent des BIP (5,6 Billionen Euro). Dahinter verbergen sich alle durch das heutige Steuer- und Abgabenniveau nicht gedeckten staatlichen Leistungsversprechen für die Zukunft, insbesondere der Sozialversicherungen. Mit knapp 61 Prozent des BIP entfällt der kleinere Teil der Nachhaltigkeitslücke auf die explizite, schon heute sichtbare und offiziell ausgewiesene Staatsverschuldung.

„Die Politik hat die gute Konjunktur der letzten Jahre nicht genutzt, um die deutschen Staatsfinanzen zukunftsfest zu machen“, kritisiert Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Vorstandsmitglied der Stiftung Marktwirtschaft bei der Präsentation der Ergebnisse. „Jetzt, da sich abzeichnet, dass die Steuereinnahmen nicht mehr ganz so kräftig sprudeln werden wie bisher, steigt die Nachhaltigkeitslücke auf über das Doppelte der deutschen Wirtschaftsleistung. Vor allem junge und zukünftige Generationen werden die Zeche für die mutlose und rückwärtsgewandte Politik der letzten Jahre zahlen müssen“, zeigt sich Raffelhüschen besorgt.Besonders deutlich wird die Gegenwartsorientierung der Politik in der Sozialen Pflegeversicherung (SPV). Ihr aktueller Beitragssatz von 3,05 Prozent hat sich seit ihrer Einführung Mitte der 1990er Jahre bereits nahezu verdoppelt. Aufgrund der zunehmenden Bevölkerungsalterung und der Leistungsausweitungen der letzten Jahre ist selbst unter optimistischen Annahmen mit einem weiteren Anstieg des Beitragssatzes auf über 5 Prozent bis zum Jahr 2060 zu rechnen. Unterstellt man darüber hinaus einen steigenden Kostendruck im Pflegebereich, könnte ein Beitragssatz zwischen 8 und 9 Prozent notwendig werden, um die Leistungen der SPV zu finanzieren.

Raffelhüschen warnt: „Unsere Berechnungen zeigen, dass wir die Leistungen der Pflegeversicherung auf keinen Fall weiter ausweiten dürfen, da wir sonst die Beitragszahler überfordern“. Dementsprechend hält die Stiftung Marktwirtschaft die derzeit diskutierte Umwandlung der Pflegeversicherung in eine Vollversicherung mit festem Eigenanteil (sogenannter „Sockel-Spitze-Tausch“) für keine geeignete Reformoption. Bei einem solchen Schritt droht nicht nur ein erheblicher bürokratischer Aufwand, um eine Explosion der beanspruchten Pflegeleistungen zu verhindern, sondern auch eine deutliche Verschlechterung der Nachhaltigkeit der SPV. Vor diesem Hintergrund spricht sich Raffelhüschen gegen eine weitere Kollektivierung des Pflegerisikos und stattdessen für mehr Eigenverantwortung und Eigenvorsorge aus: „Angesichts einer alternden Gesellschaft sollten wir diejenigen, die selbst für einen Teil der Pflegeleistungen aufkommen können, finanziell wieder stärker heranziehen – beispielsweise durch die Einführung einer mehrmonatigen Karenzzeit, in der die Pflegekosten selbst finanziert werden müssen –, anstatt weiterhin Sozialpolitik mit der Gießkanne zu betreiben.“

 
*Aufgrund einer umfangreichen Weiterentwicklung des Berechnungsverfahrens der Generationenbilanz einschließlich neuer Daten im Rahmen des diesjährigen Updates weicht die hier ausgewiesene Nachhaltigkeitslücke für das Vorjahr von dem im zurückliegenden Update 2018 veröffentlichten Ergebnis (200 Prozent des BIP) ab.

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